Journalisten begleiten Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder all den Krisenherden nach Europa - und dokumentieren ihre Leidensgeschichte. Kann man da neutral bleiben, abseits stehen, nichts sagen, wenn der Flüchtling in Sichtweite mal wieder eingesperrt, abgeschoben oder drangsaliert wird ? Journalisten berichten von Demonstrationen, wo sie als Teil der "Lügenpresse" angepöbelt werden ? Neutral bleiben oder dagegen halten ? Und wie darüber berichten ? Ganz neutral wie von einer Bundestagsdebatte ? Journalisten sind vor Ort, wenn Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt werden, wenn Flüchtlinge verbal oder körperlich attackiert werden. Ist man da "nur" der neutrale Beobachter oder der "engagierte Bürger", der helfen , den Schwächeren schützen will ? Wie ist es möglich in Zeiten wie diesen, all das zu befolgen, was immer wieder als Leitmotiv gelehrt wird - "Sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache". Wie objektiv und frei von Emotionen können Journalisten/innen sein, wenn sie über all das berichten, was sie doch innerlich bewegt, vielleicht auch wütend macht ?
Thomas Roth, der während seiner langen journalistischen Karriere im In- und Ausland schon vieles erlebt hat, was diese immer gleichen Fragen aufwirft, moderiert dieses Panel mit Menschen, die ihre jeweils eigene Sichtweise einbringen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen mit diesen Problemen konfrontiert sind:
Anja Reschke. Die Panorama-Moderatorin und Leiterin der Abteilung Innenpolitik beim NDR Fernsehen ist nicht nur innerhalb des Senders als Haltungsstarke Journalistin bekannt (und beliebt). Sie engagiert sich privat für soziale Projekte, ergreift auch das Wort bei Bürgerversammlungen zu "Flüchtlingsunter- künften" in ihrer Nachbarschaft. Ihr Tatgesthemen-Kommentar zur sogenannten "Schlussstrich-Debatte" war (nicht nur) im Netz tagelang ein heftiges, polarisierendes Diskussionsthema. Wie geht sie damit um ? Wie wirkt sich das alles auf ihre Arbeit als Journalistin aus ? Kann man unterscheiden zwischen privaten Aktivitäten und beruflichem Arbeiten ? Sollte man das überhaupt ?
Nikolaus Brender: Auch der ehemalige ZDF-Chefredakteur ist für seine klare Haltung bekannt, nimmt "kein Blatt vor den Mund". Gleichzeitig ist er Vorstandsmitglied im "Verein zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs Preises für Fernsehjournalismus". Und von Hanns Joachim Friedrich stammt ja jener berühmte Satz, der auch heute noch immer zitiert wird: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache". Was bedeutet das, wie ist das zu verstehen ? Ist das auch heute noch ein Maßstab, ein Leitbild für guten Journalismus ? Oder wurde der Satz falsch verstanden"? Also: Neutral bleiben - oder Haltung zeigen ?
Thomas Krüger: Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung bemüht sich - zusammen mit seinen Mitarbeitern/innen -, (auch) jüngere Bürger/innen für politische Inhalte zu interessieren. Auch finanziell unterstützt oder initiiert er Projekte, die die entsprechende Zielgruppe erreichen. Sei es im Unterhaltungs- bereich, Fernsehserien oder in digitalen und Printprodukten. Deshalb ist seine Sicht auf den Journalismus gerade in diesen Zeiten spannend: Was erwarten die Menschen von Journalisten/innen, um die sich seine Bundeszentrale kümmert ? Mehr Betroffenheit, mehr Subjektivität - oder doch mehr Neutralität ? Warum haben sich so viele seiner "Zielgruppe" von dem abgewandt, was wir unter "seriösem Journalismus" verstehen ? Es ist der Blick ein bisschen von draußen auf das, was wir so machen, um was wir uns so ernsthaft bemühen.
Nemi El-Hassan: Sie ist mit ihren Beobachtungen, ihren Auftritten, ihren Erlebnissen dort stark präsent, wo herkömmliche Medien häufig keine Rolle spielen: Im Netz. Es ist eine eigene Welt mit eigenen Spielregeln, eigenen Standards. Dennoch spiegeln sich auch hier all die Themen wieder, die in den althergebrachten Medien eine Rolle spielen, die uns bewegen, ärgern oder auch belustigen. Über die wir - wie auch immer - berichten wollen und müssen. Nemi El-Hassan ist - nicht nur wegen ihres jungen Alters und ihres "Kopftuchs" - eine jener Personen , über die wir Medienmacher häufig reden, aber selten den direkten Kontakt haben. Auch sie, die sich nicht nur gegen Pegida engagiert, liefert einen Blick von "draußen" auf unsere Branche, der wahrscheinlich mehr Input liefert als manche abgehobene Diskussion, die wir immer wieder nur "unter uns" führen.